Berliner Morgenpost: Ein Kulturkampf jenseits jeglicher Vernunft - Leitartikel
Berlin (ots)
Barack Obama ist im Begriff, eine Diktatur zu
errichten und eine faschistoide Gesundheitsreform zu verfügen, die
Kosten senkt, indem sie alte Menschen und Behinderte in den Gnadentod
treibt. Diesen abenteuerlichen Unsinn glauben Amerikaner, die im
ganzen Land zu Bürgerforen zur Gesundheitsreform strömen. Mit
Transparenten, die den Präsidenten mit Hitlerbärtchen und dem Spruch
"Ich habe mich verändert" zeigen. Man sieht Menschen, die atemlos vor
Empörung Abgeordnete und Senatoren der demokratischen Partei
niederschreien, mit dem Geheul, sie wollten keine Russen werden durch
"Obama's care". Leute, die bei Obamas Forum in New Hampshire einen
Mann in ihrer Mitte duldeten, der mit einer Pistole und einem Plakat
bewaffnet den Präsidenten mit Thomas Jefferson belehren wollte: "Der
Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten
und Tyrannen aufgefrischt werden."
Sind die Amerikaner noch bei Trost? Wie können Bürger eines Landes,
das um seine Demokratietradition beneidet wird, über einen 1300
Seiten dicken Gesetzesentwurf namens "HR 3200" so außer sich geraten,
dass sie sich zu Saalschlachten hinreißen lassen? Obama muss sich
diese Fragen selber stellen und Mühe mit einer Antwort haben. Er weiß
wie jeder, dass es um Besitzstände geht und um Furcht vor
Veränderung. In einem System, das unfair ist, fast unbezahlbar,
Familien, Firmen, die Republik selbst in den Ruin stößt - aber dabei
so angenehm vertraut ist.
Ein orwellscher Big-Brother-Staat, so warnen die Reformgegner, werde
sich zwischen Patienten und Ärzte drängen. Beamte würden kranken und
alten Menschen Behandlungen verweigern. Als täten die privaten Kassen
das nicht längst. Was Barack Obama vorschlage, nämlich eine
freiwillige, erschwingliche staatliche Versicherung ("public option")
neben dem privaten System, sei nur eine Finte, um die Privaten zu
unterbieten und "Big Pharma" niedrigere Preise zu diktieren. Ein
schrecklicher Gedanke?
Barack Obama hat den wilden Kulturkampf um die Gesundheitsreform
verteidigt. Etwas zu flapsig und sarkastisch erklärte der Präsident
seinen Zuhörern in New Hampshire, er sei nicht dafür, "Oma den
Stecker rauszuziehen". Sehr witzig. Nun geht es bei
Gesundheitsreformen naturgemäß um Leben und Tod. Und nichts erregt
und ängstigt Menschen so sehr wie Debatten über Grenzen und Kosten
ihrer Pflege. Verstörend in der amerikanischen Debatte bleibt der
strategische Entschluss der oppositionellen Republikaner, nichts
beizutragen als "Nein", Niemals", "Nicht mit uns". Samt exotischen
Hirngespinsten über Euthanasie und sozialistische Einheitsmedizin. Es
wäre ein Jammer für die politische Kultur und eine Katastrophe für
Amerikas 47 Millionen Nichtversicherte, wenn sie damit durchkämen.Pressekontakt:
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