Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Der schwarze Freitag und die Folgen - Der ratlose Herr Guttenberg - Leitartikel von Dirk Hautkapp
Essen (ots)
Über die Motive des Verteidigungsministers wundert
man sich nicht zum ersten Mal. Nach dem düstersten Karfreitag in der
Geschichte der Bundeswehr, drei tote deutsche Soldaten, sechs von
deutschen Soldaten irrtümlich getötete afghanische Soldaten, sprach
Karl-Theodor zu Guttenberg erstmals von "Krieg" in Afghanistan. Nicht
im juristischen Sinne freilich, nur "umgangssprachlich". Was das
soll? Guttenberg kaschiert seine Ratlosigkeit, indem er sich
sprachsymbolisch an der "Heimatfront" anbiedert. Hier war man es
gewohnt, wirklichkeitsverfälschend mit selbstbetrügerischer Rhetorik
("Stabilisierungseinsatz") eingelullt zu werden. Dabei wusste die
Öffentlichkeit längst: Deutsche Soldaten töten und werden getötet.
Nur zu sagen, was in Afghanistan ist, reicht darum längst nicht aus.
Die Bundeswehr steht vor einem Strategiewechsel. In den Worten
Guttenbergs: "Weg von offensiven, aktiven militärischen Eingriffen
hin zu einer Ausbildungs- und Schutzkomponente, die in der Fläche
Präsenz zeigt." Die Taliban haben diesen Plan mitten im
Verantwortungsbereich der Deutschen kurz und klein gehauen und mit
geringen militärischen Anstrengungen große politische Effekte
erzielt. Ihre auf Zermürbung der internationalen Schutztruppen
angelegten Nadelstiche lassen zudem erahnen, auf welch hohlem Grund
das neue Afghanistan-Mandat der Bundeswehr steht. Wenn deutsche
Soldaten bereits heute auf einer Routinepatrouille einem Hinterhalt
nicht gewachsen sind, um wie viel höher muss erst das Risiko für Leib
und Leben sein, wenn bald noch mehr deutsche Soldaten und
Bundespolizisten ihre afghanischen Kollegen außerhalb der
festungsähnlichen Lager ausbilden?
Für die Taliban ist dieses Szenario ein Geschenk. Sie können die
weder materiell noch mental hinreichend ausgerüstete Bundeswehr noch
tiefer in einen verlustreichen Abnutzungskrieg ziehen. Sich darauf
einzustellen und öffentlich zu klären, mit welch militärischer Wucht
deutsche Soldaten auf im Handwerk des Tötens überaus geübte Gegner
reagieren sollen, ist politisch nicht leicht zu vermitteln. Aber
ehrlicher, als mit pikiertem Unterton festzustellen, dass der Taliban
gnadenlos und bauernschlau vorgeht.
Ja, was denn sonst? Karfreitag 2010 zwingt die den Einsatz nur noch
halbherzig tragenden Parteien dazu, der Öffentlichkeit endlich zu
erklären, wie in Afghanistan bis zu einem schon bald einsetzenden
Truppenabzug eine halbwegs stabile innere Ordnung entstehen soll.
Wenn zeitgleich der Widerstand immer massiver wird, den der Westen
mit militärischen Mitteln nicht brechen kann.Pressekontakt:
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